25.

Jul

Dem Fürstbischof auf den Fersen

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Ein Stadtspaziergang in Marktoberdorf

Clemens Wenzeslaus von Sachsen durfte den Kaiser wählen und war verwandt mit dem französischen Hochadel. Der hohe Herr war Erzbischof von Trier und der letzte Augsburger Fürstbischof, das Jagdschloss hoch über Marktoberdorf diente ihm als Sommerfrische. CW war ein Enkel August des Starken und lebte von 1739 bis 1812. Zwischen Feudalismus und Aufklärung.

 Als Bischof von Trier ließ Clemens Wenzeslaus bei einem Gastmahl aus einer Laune heraus Wein und Sekt mischen und mit Zitronenmelisse würzen. Ein „kaltes Ende“ des Festes. So wurde er zum Erfinder der „Kalten Ente“. Marktoberdorf gehört seine Liebe. Auch wenn hier kein Wein wächst. „Der kulturelle Reichtum der Stadt geht auf Clemens Wenzeslaus zurück“, betont Stadtführer Norbert Köser am späten Sonntag-Nachmittag bei der Begrüßung vor dem Rathaus.

Stadtführer Norbert Köser: Clemens Wenzeslaus ist ihm ans Herz gewachsen

Engagierter Stadtführer Norbert Köser. (Foto: Christoph Thoma)

„CW stammt aus dem uralten Geschlecht der Wettiner, wie Königin Elisabeth von England. Er war hochgebildet, beherrschte sechs Sprachen, darunter auch Polnisch!“ Mit derart beeindruckenden Informationen geht’s gleich los, auf dem kurzen Weg vom Rathaus zum Standort des ehemaligen Salzstadels: „Clemens Wenzeslaus hat für sein Oberdorf vorausschauende Politik betrieben. Der Standort Marktoberdorf profitierte von Anfang an von der verkehrsgünstigen Lage!“ Wenn heute die B 12 an Marktoberdorf vorbeiführt, die Kreisstadt bei Buchloe und Kempten Anschluss an die Autobahn hat, dann ist das eine Konsequenz der von CW extra über Marktoberdorf gelenkten Salzstraße. Der Weitblick wirkt bis heute nach. Ohne gute Verkehrsanbindung keine wirtschaftliche Entwicklung. Mit dem Fendt-Dieselross begann der Aufstieg eines kleinen Unternehmens zur Weltfirma.

Clemens Wenzeslaus: Begründer der heutigen Kulturstadt Marktoberdorf

Clemens Wenzeslaus:                                                                                                                               Begründer der heutigen Kulturstadt Marktoberdorf (Foto: Wikipedia)

 

Marktoberdorf – Kulturstadt des Allgäus

Um Clemens Wenzeslaus ranken sich über beglaubigte Fakten hinaus Anekdoten und Legenden, die Norbert Köser, ein Kenner der Materie, in gut eineinhalb Stunden auch erzählt, an verschiedenen Stationen zwischen Innenstadt und Fürstbischöflichem Schloss. Zweifellos, in seiner geliebten „Sommerfrische“ Oberdorf ist Clemens Wenzeslaus bis heute lebendig, verdankt ihm die Stadt doch ihr reiches kulturelles Leben mit Konzerten und Theater, aber auch wirtschaftlichen Erfolg. Schon allein deshalb, weil dieser Clemens Wenzeslaus Touristen anlockt.

Norbert Köser bittet seine Gäste oft, den Kopf in den Nacken zu legen und nach oben zu schauen. Auf dem Marktplatz, beim Alten Rathaus, steht die Gruppe, ihrerseits von den Menschen begutachtet, die beim „Tufan“ oder im Eiscafé hocken, und entdecken oben im Giebel angebracht, eine Büste von Clemens Wenzeslaus, die von 1790 stammt, als CW Papst Pius VI. nach Füssen begleitete. Die Figur darüber, mit einer großen Waage, die aus dem Mauerwerk herausragt, ist nicht die Justitia, Göttin der Gerechtigkeit, wie viele fälschlich meinen, sondern der Erzengel Michael mit der Seelenwaage.

 

Geschichte und Geschichten: Norbert Köser ist perfekt vorbereitet

Norbert Köser ist gut vorbereitet. Bebilderter Spaziergang. (Foto: Christoph Thoma)

Die politische Entwicklung des kleinen Oberdorfs zum Markt und schließlich zur Kreisstadt des Ostallgäus geht auf Weichenstellungen des Bischofs zurück. Dass Marktoberdorf ein Schulzentrum im Allgäu ist, reich an Sport- und Kulturangeboten, ist kein Zufall. Norbert Köser zitiert auf dem Stadtplatz frei aus dem „Oberdorfer Heimatbuch“ von Martin Dömling: „Als Landesherr sorgte Clemens Wenzeslaus für größere Gewerbefreiheit, Abschaffung von Missbräuchen bei den Zünften, Regelung der Frauenarbeit und des Lehrlingswesens. Er war bedacht auf Einführung von Brandversicherungen, Anlegung von Wasserleitungen und Armenfürsorge. Zur Hebung der Volksgesundheit ließ er Krankenhäuser errichten, eigene Amtsärzte aufstellen und Friedhöfe außerhalb des Ortes anlegen.“

Gut 180 Stufen führen im Schatten von Kastanien ins Marktoberdorfer Hochparterre hinauf – zur St. Martinskirche, die zur Zeit des Fürstbischofs Clemens Wenzeslaus durch einen hölzernen Übergang mit dem Schloss verbunden war. Wenn CW in Oberdorf zur Sommerfrische ankam, immer nach Fronleichnam, dann war zuerst mit 800 Wagenladungen „umgezogen“ worden. Alles, aber auch wirklich alles, was für höfische Gepflogenheiten nötig war, für Empfänge und Lustbarkeiten, kam aus Augsburg. Der hohe Herr begab sich zu allererst zum stillen Gebet in die Kirche, dann hielt er Hof. Jedermann hatte Zugang, keiner war ausgeschlossen. Norbert Köser weiß auch, dass die Gespräche mit ihm immer „auf Augenhöhe“ stattfanden. Keiner sollte zu ihm aufschauen müssen. Im Gegenteil: „Wenn er sich mit einem Kind unterhielt, ging er auf die Knie!“

 

Blick in die Grabkapelle von Kurfürst Clemens Wenzeslaus

Blick in die Grabkapelle von Clemens Wenzeslaus. (Foto: Christoph Thoma)

Vor 200 Jahren stand Europa im Umbruch. Vor den Truppen Napoleons musste der Kurfürst und Erzbischof von Trier 1794 nach Augsburg fliehen. Dann wurde das Fürstbistum Augsburg bayrisch. 1802 fiel der Beschluss zur Säkularisation geistlicher Territorien. Clemens Wenzeslaus war plötzlich kein Herrscher mehr. Er starb am 27. Juli 1812 im Schloss von Marktoberdorf. Er wollte hier „ganz schlicht“ bestattet werden.

 

Eine schlichte Grabplatte erinnert an den letzten Augsburger Fürstbischof

Die Grabplatte für den letzten Augsburger Fürstbischof. (Foto: Christoph Thoma)

Man bereitete ihm das Grab am östlichen Ende der Pfarrkirche. Norbert Köser zeigt beim Stadtbummel eine stark vergrößerte Kopie eines Bildes aus dem Stadtmuseum: der Leichenzug vor CW, den Martin Dömling so beschreibt: „Clemens Wenzeslaus schied am 27. Juli 1812 im hiesigen Schloss aus dem Leben. Der Leichenzug bewegte sich in feierlicher Prozession durch den Markt und führte über den Marktplatz zur Kirche. Der Leichnam des hohen Verstorbenen, der mit den bischöflichen Gewändern bekleidet war, wurde von Priestern und Lakaien getragen.“

Das Herz des Bischofs wurde nach Augsburg gebracht, der Leib ruht – getreu seinem ausdrücklichen Wunsch – in Marktoberdorf. Es hätte ein schlichtes Grab werden sollen, wenn es auch nach seinem Tod noch nach ihm gegangen wäre; aber seine Schwester Kunigunde ließ es sich nicht verwehren, ihrem Bruder eine Grabkapelle zu stiften, die sich an die St. Martins-Kirche anschließt. Eine ihrer Hofdamen ist auf dem Friedhof bestattet, der wegen seiner „Herrschaftsgräber“ als Besonderheit gilt, Norbert Köser erklärt: „In der ersten Reihe sind mit Namen im Grabstein reiche Bürger begraben, dahinter – ohne Namen – ihre Dienstboten!“

 

 

Vor dem Kurfürstlichen Schloss Marktoberdorf: Sitz der Musikakademie

Vor dem Kurfürstlichen Schloss, Sitz der Musikakademie. (Foto: Christoph Thoma)

 

Das Naturdenkmal Kurfürstenallee

Mit Wilderern hatte der Fürstbischof kein Mitleid. Da wurden strenge Urteile gefällt und Exempel statuiert. Der Innenhof des Schlosses, heute Freiluftkonzertsaal der Bayerischen Musikakademie, war Schauplatz blutiger Ereignisse. Einmal waren im Hof ein paar Dutzend Wilderer bei Wasser und Brot eingesperrt. Die gefangenen Bauern wollten heim zu ihren Familien, vor allem auch die Feldarbeit wartete auf den kleinen Höfen, und so kam es zum Wilderer-Aufstand von Marktoberdorf, der von übereifrigen Dragonern blutig niedergeschlagen wurde. Auch solche Geschichten gehören zu Clemens Wenzeslaus. Seiner Beliebtheit haben sie keinen Abbruch getan. Wenn Marktoberdorf heute für den internationalen Kammerchor-Wettbewerb und „Musica Sacra“ bekannt ist, das Treffen der Weltreligionen im Allgäu, dann geht der Blick 200 Jahre zurück.

Die Kurfürstenallee - ein grünes Naturdenkmal. Zusammen mit dem Schloss Wahrzeichen Marktoberdorfs

Die Kurfürstenallee – ein Naturdenkmal. (Foto: Touristikbüro Marktoberdorf) 

Die zwei Kilometer lange, schnurgerade Lindenallee zwischen dem Schloss und dem Waldberg bei Bertoldshofen bildet zusammen mit dem Fürstbischöflichen Schloss, das wir ja bei unserem geführten Stadtbummel gerade umkreist haben, das Wahrzeichen von Marktoberdorf. Sie erinnert natürlich auch an Fürstbischof Clemens Wenzeslaus, der im Jahr 1774 insgesamt 620 Linden in Reih und Glied setzen ließ, um bei seinen Ausfahrten den herrlichen Blick auf die Alpenkette aus kühlem Schatten genießen zu können.

Der Blick zu den Bergen ist auch bei unserem sonntäglichen Stadtspaziergang wieder beeindruckend, auch wenn sich über dem Säuling ein Gewitter breitmacht. Wie eine Festhalle schirmen die Linden das gleißende Sonnenlicht ab. Vögel zwitschern, Jogger laufen in Richtung Rambogen, es ist besonders friedlich, angenehm, einfach schön hier. Norbert Kösers Stimme wird irgendwie leiser, fast andächtig: „1768 wurde unser Clemens Wenzeslaus Erzbischof und Kurfürst von Trier sowie Fürstbischof von Augsburg. Und schon 1774 befahl er den Untertanen, für seine Ausfahrten eine Prachtallee zu bauen – nach französischem Vorbild!“

Nicht nur der berühmte Wildereraufstand, sondern auch der erste Bauarbeiterstreik im Ostallgäu, hat mit Clemens Wenzeslaus zu tun: „Die Arbeiter weigerten sich ganz einfach die Hügel zu nivellieren, die vom Schloss in Richtung Geltnach einer nach dem anderen zu überwinden sind. Und der Bischof ließ sich überzeugen!“ Norbert Köser deutet in Richtung der dunklen Wolken: „Schnurgerade ist die Kurfürstenallee, aber auch genauso bucklig wie das Allgäu selber.“ 

Die Lindenallee und das Schloss sind die Immobilien, die in Marktoberdorf an den letzten Fürstbischof von Augsburg erinnern. Das tun auch die Exponate im Stadtmuseum (unbedingt sehenswert!). Was aber nachhaltiger ist als Stoff, Bauwerk oder Naturdenkmal, das ist das immaterielle Erbe, das Clemens Wenzeslaus seinem Oberdorf hinterlassen hat.

St. Martin - hoch über Marktoberdorf. (Foto: Christoph Thoma)

Stadtpfarrkirche St. Martin mit Grabkapelle. (Foto: Christoph Thoma)

Mit dem Stundenschlag von der Pfarrkirche endet der beeindruckende Spaziergang durch Marktoberdorf. Beim genauen Hinhören ist der besonders weiche, melodiöse Klang der Martinsglocke zu hören. Verursacht von der Handvoll Silbertaler, die Fürstbischof Clemens Wenzeslaus einst eigenhändig in den Guss geworfen hat.

Ob zum Geburtstag, beim Betriebsausflug oder als Idee für das Familientreffen – eine Stadtführung ist immer ein besonders Erlebnis, für Gäste und Fremde, vor allem aber auch für die Marktoberdorfer selbst. Wer auf eigene Faust losziehen mag, folgt dem Clemens-Wenzeslaus-Rundweg durch die Stadt mit sechs Infotafeln, auf denen man das Allerwichtigste über CW nachlesen kann. Einen geführten Rundgang kann das natürlich nicht ersetzen. Nach dem Stadtspaziergang mit Norbert Köser haben einige Teilnehmer/innen bestätigt; dass sie von nun an mit anderen Augen durch ihre Stadt gehen werden.

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Das Touristikbüro Marktoberdorf im Rathaus informiert gerne über diese und weitere Themenführungen sowie Stadtspaziergänge in Marktoberdorf. Für Familien mit Kindern zwischen 6 und 10 Jahren gibt es übrigens auch eine Clemens-Wenzeslaus-Familienführung. Termine im Internet: www.touristik-marktoberdorf.de      

 

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