11.

Mai

Kaiphas und das Volk

Die Waaler Passion – eine wahre Leidenschaft

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Dass die Waaler Jubiläumspassion faszinierend wird, war von Anfang an klar. Hier in Waal wirkt die Welt noch in Ordnung. Die Singold entspringt hier und blinkt durch den wohl erhaltenen Dorfanger, vorbei an St. Nikolaus und St. Anna – wo im geweihten Kreuz ein Kreuzsplitter Jesu verborgen ist – sowie dem fürstlichen Schloss von der Leyen.

Dass die Welt hier im Allgäu noch in Ordnung ist, liegt vielleicht auch daran, dass im Jahr 1621 – so die Überlieferung – die Waaler Bevölkerung ihrem Herrgott im Falle der Bewahrung vor der Pest versprach, fortan die Passion Christi nachzuerzählen und aufzuführen. Er muss sie erhört haben und so haben die Bürgerinnen und Bürger des kleinen Allgäuer Ortes inzwischen hunderte Male in verschiedenen Fassungen die Geschichte vom Leben, Tod und der Auferstehung von Jesus aus Nazareth in Waaler Gärten und Theatern erzählt.

Inzwischen steht seit 1960 ein eigener Theaterbau, den die Passionsspielgemeinschaft Waal e.V. selbst betreibt. Der Bau mit 575 Plätzen zieht mich zurück in alte Zeiten, die Akustik ist mit Innenziegelverkleidung sensationell. Sogar eine eigene Orgel spielt zur Passion auf!

Das Theater hat brav in der Pandemie auf die zurückkehrende Laienschauspielerschaft und den ebenfalls rein ehrenamtlichen Passionschor samt fürs Jubiläum erweitertem Orchester gewartet. Eigentlich wollte man im Jahr 2021 zum 400jährigen Jubiläum ein neues Stück aufführen. Absurderweise verhinderte dies die Covid-Pandemie. Nun aber frisch auf, im Jahr 2023 kommt die von Manfred Dempf 2006 geschriebene Passion „Für wen haltet ihr mich?“ zur Uraufführung. Das musikalische Konzept von Dietmar Ledel, der seit vier Jahren daran gearbeitet hat, unterstützt emotional und inhaltlich die Handlung.

Marktleute im Tempel_Bildnachweis Ulrike Propach

Als Marktoberdorferin plötzlich mittendrin zu sein in dem Waaler Passionsgeschehen, ist auch für mich so ein kleines Wunder. Die freundlichen, offenen Waaler haben es mir leicht gemacht, mich mit meinen Stärken einzubringen. Begeistert konnte ich mich ein halbes Jahr lang austoben in der Fotografie, dem steten Erzählen der Passionsgeschichte, Gestalten und sogar mit auf der Bühne stehen.

Jesus (Benedikt Hornung) und Maria, Mutter der Jünger Johannes und Jakobus (Ulrike Propach)_Bildnachweis up

Ich bin nicht die Einzige, die von außerhalb kommt. Aus dem Radius von 30 Kilometern kommen zahlreiche Musikerinnen und Musiker, die treu zu den Proben ehrenamtlich einpendeln. Und nun, am Beginn eines Sommers voller Aufführungen, die nach kurzer viermonatiger Probenphase gezeigte Umsetzung des Matthäus-Evangeliums.

Jesus fragt „Für wen haltet ihr mich?“ Der begnadete Laienschauspieler Benedikt Hornung spielt den Erlöser und kommt im Typ den Überlieferungen erstaunlich nahe. Locker flockig in moderner Sprache erzählt, geht mir die Passion unter die Haut. Nur die beliebten Kulissen und farbenfrohen Gewänder zeigen noch die Waaler Tradition, sonst ist alles neu.

Jesus – Judas 1. Szene_Bildnachweis Ulrike Propach

Jesus und die Jüngerschaft – darunter auch immer Frauen, die mit ihm ziehen – gehen von Station zu Station. Mal ist Jesus der gefeierte Speaker bei der Bergpredigt, mal in Nazareth der Prophet im eigenen Lande, mal wird er beäugt von Abgesandten von Bar Abbas oder Johannes dem Täufer – und vor allem sehr kritisch befragt vom Hohen Rat. Seine zwölf Jünger könnten kaum unterschiedlicher sein.

Jesus heilt den blinden Jungen_Bildnachweis Ulrike Propach

Jesus selbst geht sehenden Auges seinen Weg in den Tod, um die Erlösung aller zu ermöglichen: Dein Wille – mein Wille. So heftig dieser Leidensweg damals war, so krass wird er auch heute gezeigt.

Deswegen bitte Kinder unter zwölf Jahre nur in Begleitung mit in die Passion nehmen. Und so hart das Opfer war und die beiden Frauen mitnimmt – die junge Powerfrau Maria aus Magdala (Julia Fischer) und „die andere Maria“ (die ich spielen darf) – zum Schluss siegt Jesus über den Tod. Auferstanden begegnet er zum Abschluss der Jüngerschaft wieder in deren Heimat Galiäa. Dort hatte er sie hingeschickt nach drei Wanderjahren: Zurück in den Alltag, zu ihren Familien.

Wenn ich nach drei Spielblöcken dann nach dem 8. Oktober 2023 wieder zurück in meinen Alltag ziehen werde, hat mich die Passion bereits schon jetzt verwandelt. Mittendrin zu sein ist einzigartig. Was bin ich froh, dass ich mich damals nach dem „Tag des Offenen Theaters“ bei meinen neuen Waaler Freunden gemeldet habe, und deren Passion nun zu meiner geworden ist.

Passion 2023 – Passionsspielgemeinschaft Waal e.V. (passion-waal.de)

 

von Ulrike Propach

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