22.

Jun

Lein-Seelen – Original vom Memminger Brotsommelier

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Die Tür geht auf, Thomas Knittel kommt herein, im Arm einen Korb voll frischer Lein-Seelen. Sein ganzer Stolz. Schließlich hat er das oberschwäbische Kleinbrot, das Passagier in der „Arche des guten Geschmacks“ bei Slow Food ist, in der Lein-Variante erfunden. Zu kaufen gibt es sie nur in den Fachgeschäften des Backhaus Häussler, dem Arbeitsplatz des 32-Jährigen.

Die Seele des Allgäus – neu interpretiert

„Leinsamen ist genauso wertvoll wie der als Superfood bekannte Chia-Samen, nur dass Lein in Vergessenheit geraten ist. Dabei war der blau blühende Flachs früher typisch fürs Allgäu“, erklärt Backhaus-Inhaber Hermann Häußler. Wie bei jedem Produkt bedarf es Zeit für seine Entstehung. Und in diesem Fall kam noch ein anspruchsvoller Anlass hinzu: Thomas Knittel hat die Lein-Seele als Projektarbeit zum Abschluss seiner Ausbildung zum Brotsommelier entwickelt – was nicht auf Anhieb umsetzbar war. Zunächst sollten dem Teig die wertvollen Inhaltsstoffe des Leins über Leinöl beigefügt werden. Jedoch darf Leinöl nicht erhitzt werden, da es dadurch einen Großteil seiner gesundheitlichen Pluspunkte verliert, fand Knittel heraus. Nach drei weiteren Anläufen war es geschafft: Die Lein-Seele war kreiert. Sie besteht jetzt aus Dinkelmehl und einem hohen Anteil an Leinschrot und Leinmehl, das in der Allgäuer Ölmühle in Kempten hergestellt wird. „Die Leinsamen schroten wir selbst. Auch beim Schrotvorgang darf die Leinsaat nicht zu warm werden“, erklärt Thomas Knittel. In der Zwischenzeit hat er sogar einen Landwirt in Erkheim gefunden, der für das Backhaus Lein anbaut und jetzt erntet.

links: Hermann Häußler und rechts: Thomas Knittel, @ Backhaus Häussler Memmingen

Lein-Seele getestet. Für sehr gut befunden!

Der Duft des frischen Gebäcks steigt uns in die Nase. Nun machen wir es wie ein Brotsommelier: Erst wird die Lein-Seele von außen betrachtet, dann erfühlt, beschnuppert und zuletzt angeschnitten. Wer schon mal das an wertvollen Omega-3-Fettsäuren reiche Leinöl in Quark verrührt hat, wird den charakteristischen Geruch wieder erkennen. Die Kruste ist fest, aber nicht zu knusprig, mit Leinsamen und Sesam bestreut. Das Innere, die so genannte Krume, ist weich und von Leinsamen gesprenkelt. Der Geschmack ist, wie schon der Geruch, unverkennbar: leicht nussig.


Die angeschnittene Lein-Seele, @Backhaus Häussler Memmingen

Noch mehr Brot-Kompetenz

Deutschland hat von jeher eine riesige Vielfalt an Getreideprodukten und Brotsorten, mit regionaltypischen Unterschieden, die den Genuss umso spannender machen. Nun ist die Brot-Kompetenz im Allgäu noch ein Stückchen gewachsen: Thomas Knittel ist seit vergangenem Jahr einer der ersten Brotsommeliers in der Region, und einer von 130 in ganz Deutschland. Nach einem Jahr Ausbildung an der Bundesakademie des Deutschen Bäckerhandwerks in Weinheim verfügt er nun neben erweitertem und neuem Fachwissen über ein kompetentes Netzwerk, in dem er sich mit Kollegen aus der selben Branche unterhalten kann. Ein reger Austausch findet auch im Verein „Allgäuer Bäcker“ statt, in welchem die Bäckerei Häussler auch Mitglied ist. Der Verein hat sich dazu verpflichtet das Bäckerhandwerk im Allgäu mit seiner langen Tradition zu stärken, das Kulturgut Brotvielfalt zu fördern und auch dem Fachkräftemangel entgegen zu treten.

Hochwertige Backwaren sind Herzenssache

„Wir wollen nicht die Größten im Allgäu werden, aber das beste Beispiel für Leidenschaft, Qualität und Liebe zum Produkt. Diese Werte sind uns sehr wichtig“, sagt Thomas Knittel im festen Ton, sein Chef nickt. Die beiden sind ein gutes Team. Für sie sind das Bäckerhandwerk und hochwertige Backwaren ein Herzensprojekt: „Wir wollen nicht in die Theke beim Discounter, sondern kleine Chargen mit täglich frischer Ware. Wir wollen ein Produkt, das den Leuten gut schmeckt, für das sie gerne ihr Geld ausgeben und das es eben nur beim Häussler gibt.“ Ihr Credo: Sie verwenden nur natürliche Zutaten, so regional wie möglich.


Präsentation der  klassischen „Häussler Seele“, @Backhaus Häussler Memmingen

Der Schlüssel zu guter Bekömmlichkeit ist die lange Teigführung. Sind alle Zutaten zum Teig verknetet, hat er im Kühlraum 24 Stunden Zeit, zu quellen und seinen Geschmack zu entwickeln. Dadurch benötigt der Teig kaum Hefe, die Moleküle arbeiten, das Brot ist gut verträglich. „Wenn wir unsere Herstellungsweise den Menschen nahe bringen, entscheiden sie sich eher wieder für das handwerklich gebackene Produkt“, ist Hermann Häußler überzeugt. Er kennt die Probleme, die Bäcker in der heutigen Zeit haben. Schließlich ist er selbst Bäcker in der vierten Generation. Seit 2008 ist seine Produktion in Memmingen ansässig. Der mittelständische Manufaktur-Betrieb unterhält zwölf Bäckerei-Fachgeschäfte und drei mobile Verkaufsstände. Insgesamt sind 160 Mitarbeiter im Backhaus beschäftigt.


Der Teig muss zum quellen 24 Stunden in den Kühlraum, @ Backhaus Häussler Memmingen

Digital in der Backstube

Wir dürfen ins Herz des Betriebs, in die Backstube. Fünf Backöfen laufen in der großen, hohen Halle quasi rund um die Uhr, vor allem nachts von 2 bis 5 Uhr. Sie werden von einer Hackschnitzelheizung betrieben, die Hackschnitzel liefert der Bauer von nebenan. Auch hier denkt Hermann Häußler nachhaltig. Jeden Tag sorgen in der Backstube rund 40 Mitarbeiter für frische Ware, die tagtäglich an die Bäckerei-Filialen, an Hotels und an Kantinen in der Region ausgeliefert werden. Hermann Häußler zeigt auf die digitalen Anzeigetafeln: „Natürlich hat auch bei uns die Digitalisierung Einzug gehalten. Omas Rezeptbuch ist jetzt ein Computer, die ganze Logistik läuft nur über PC-Programme. Aber die Rezepte sind zum Teil noch die alten, von meinen Vorfahren überliefert.“ Als wir in der Backstube neben einem Mitarbeiter stehen, erklärt Thomas Knittel: „Der Teig für Semmeln und Brote wird zwar maschinell abgewogen, dann aber von Hand geformt und zum Beispiel wie hier in Grieß abgesetzt. Die Hand ist viel schonender als eine Maschine, sie arbeitet mit viel mehr Feingefühl für den Teig.“ Ihre Produkte kommen ständig auf den Prüfstand: Wo können sie noch etwas verbessern, was müssen die Experten eventuell neu entwickeln oder überarbeiten? Brot ist nie fertig gedacht, ist ihre Devise.

Der von Hand geformte Seelen-Teig, @Backhaus Häussler Memmingen

Feine Aussichten

Auch das „Drumherum“ ist für Thomas Knittel wichtig. So kommt im Herbst ein eigens von ihm kreierter Aufstrich in die Häussler-Fachgeschäfte: Haselnuss kombiniert mit dunkler Schokolade oder Mandel kombiniert mit weißer Schokolade. Für die richtige Mischung hat sich Knittel hierzu fachmännische Tipps von der Memminger Schokoladensommeliere Birgit Heel geholt. Wer es lieber deftig mag, kann den Mix aus Butter, gerösteten Zwiebeln, Salz und Pfeffer als Aufstrich-Variante wählen. Tolle Aussichten für alle Fans der Lein-Seele!

Kulinarische Kompetenz – seit Jahrhunderten bewährt:

Die Lein-Seele ist eine Bereicherung für das Allgäu. Sie verbindet zwei traditionelle Kompetenten. Zur Seele passt übrigens ganz ausgezeichnet Allgäuer Käse, alleine vier geschützten Ursprungs: Allgäuer Emmentaler, Allgäuer Bergkäse, Allgäuer Sennalpkäse und der Weißlacker.

Mehr Kulinarik-Tipps gibt es in den Allgäuer Städten.

 

Infos:
Backhaus Häussler Memmingen
Tel. 08331 924140
info@bhmm.de
Alpenstraße 79
87700 Memmingen
www.backhaus-haeussler.de 

 

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